Telemedizin in Europa: Deutschland ganz hinten, warum ist das so? Studien

Telemedizin ist längst mehr als ein Trend – sie verändert die Art und Weise, wie medizinische Versorgung in Europa gedacht und umgesetzt wird. Verschiedene Studien zeigen deutlich: Der Einsatz digitaler Lösungen bringt zahlreiche Vorteile mit sich, wird aber auch von politischen und infrastrukturellen Herausforderungen begleitet. Als ich heute gehört habe, dass in Frankreich jede vierte Behandlung – also 25 % aller Verschreibungen – online stattfindet (Telemedizin), war ich überrascht. Denn in Deutschland sind es nur 8 % der Verschreibungen. Grund genug für einen Blick auf aktuelle Studien und Statistiken zur Nutzung von Telemedizin in Europa.

Deutschland ganz hinten, warum ist das so?

Deutschland landet laut mehreren Studien regelmäßig auf den hinteren Plätzen, wenn es um die Nutzung von Telemedizin geht. Die Gründe sind vielfältig:

Laut der Bertelsmann Stiftung fehlt eine übergreifende Digitalstrategie im Gesundheitswesen, zudem hemmen Datenschutzbedenken, uneinheitliche IT-Systeme und komplizierte Abrechnungsvorgaben die Umsetzung. Auch die WHO verweist auf den fehlenden Zugang zu digitalen Angeboten sowie Vorbehalte bei Ärzten und Patient:innen. Während andere Länder klare Standards und finanzielle Anreize gesetzt haben, fehlt es in Deutschland an Koordination und politischem Willen zur konsequenten Digitalisierung.

Wo liegen die Vorteile der Telemedizin?

Telemedizin wurde in Deutschland rechtlich erstmals im Jahr 2018 umfassend erlaubt, als der Deutsche Ärztetag das Fernbehandlungsverbot lockerte. Seitdem dürfen Ärzt:innen Patient:innen auch ohne vorherigen persönlichen Kontakt behandeln – ein wichtiger Schritt für die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Besonders während der COVID-19-Pandemie ab 2020 gewann Telemedizin stark an Bedeutung.

Vorteile sind unter anderem eine schnellere Erreichbarkeit ärztlicher Hilfe, Zeitersparnis, eine bessere Betreuung bei chronischen Erkrankungen sowie die Entlastung überfüllter Praxen. Studien wie die der WHO zeigen, dass Telemedizin die Versorgungsqualität steigern und Kosten senken kann.

Schauen wir uns die drei Studien im Detail an!

Telemedizin in Europa: Was die WHO dazu sagt

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichte 2022 eine umfassende Untersuchung zur Nutzung von Telemedizin in Europa und Zentralasien. Die Analyse basierte auf mehr als 20.000 Studien und lieferte ein klares Bild: Digitale Gesundheitsdienste verbessern die Versorgung deutlich.

“Telemedizin hat klare Vorteile für Patienten in europäischen Ländern”, so die WHO. “Sie führt zu besseren klinischen Ergebnissen, reduziert Kosten und verbessert die Nachsorge.”

Besonders hervorgehoben wurde das Potenzial bei chronischen Erkrankungen, psychischer Gesundheit und in der Nachbehandlung. Gleichzeitig nennt die Studie typische Hürden:

  • fehlende digitale Infrastruktur in ländlichen Regionen
  • technische Hürden für ältere Patient:innen
  • zögerliche Haltung medizinischer Fachkräfte

Unterschiede zwischen den Ländern: Zahlen von Deloitte

Eine Studie von Deloitte aus dem Jahr 2020 zeigt deutliche Unterschiede in der Nutzung von Telemedizin zwischen den europäischen Ländern. Während in Deutschland nur rund 30 % der befragten Ärzt:innen und Pflegekräfte angaben, Telemedizin aktiv zu nutzen, lag dieser Wert in Dänemark bei beeindruckenden 61 %. (Quelle)

Ein Blick auf die Top 5 Länder laut Deloitte

  • Dänemark – 61 % aktive Nutzung
  • Niederlande – rund 55 %
  • Estland – 53 %
  • Schweden – 49 %
  • Norwegen – 47 %

Die Daten zeigen, dass vor allem skandinavische Länder bei der Implementierung digitaler Gesundheitsdienste deutlich weiter sind. Deutschland hingegen belegt einen der letzten Plätze.

Deutschland als Nachzügler: Studie der Bertelsmann Stiftung

Schon 2018 veröffentlichte die Bertelsmann Stiftung eine umfassende Untersuchung zur Digitalisierung der Gesundheitsversorgung in Europa: die Studie #SmartHealthSystems. Darin wurden 17 Länder im Hinblick auf ihre Digitalstrategie im Gesundheitswesen verglichen. (Quelle)

Das Ergebnis: Länder wie Estland, Dänemark oder Schweden haben klare Strategien, konkrete Umsetzungsschritte und die nötige Infrastruktur geschaffen. Deutschland hingegen verfügte laut Studie über keine klar definierte Digitalstrategie und über wenig interoperable Systeme.

Herausforderungen in Deutschland

  • Unklare gesetzliche Rahmenbedingungen
  • Fragmentierte IT-Systeme ohne Standards
  • Datenschutzbedenken als Innovationsbremse

“Deutschland braucht eine nationale Strategie für Digital Health, die mehr ist als ein Zusammenspiel einzelner Projekte”, fordert die Bertelsmann Stiftung.

Was funktioniert: Erfolgsfaktoren aus anderen Ländern

Ein Blick auf die erfolgreichen Länder zeigt, welche Faktoren besonders entscheidend sind, um Telemedizin zu fördern und langfristig zu etablieren:

  • Politischer Wille und langfristige Finanzierung
  • Einheitliche digitale Patientenakten
  • Zugang zu Breitbandinternet in Stadt und Land
  • Frühzeitige Einbindung von Ärzt:innen und Pflegepersonal
  • Schulungsprogramme für Patient:innen und medizinisches Personal

Was heißt das für die Zukunft der Telemedizin?

Die Studien zeigen deutlich: Telemedizin hat großes Potenzial – sowohl für die Patientenversorgung als auch zur Entlastung des Gesundheitssystems. Doch ohne politische Rahmenbedingungen, technische Infrastruktur und Akzeptanz in der Bevölkerung wird der Wandel nur schleppend vorankommen.

Vor allem Deutschland steht vor der Herausforderung, aus der „Testphase“ herauszukommen und Telemedizin flächendeckend in die Regelversorgung zu überführen. Andere Länder zeigen, wie es geht: mit klarer Strategie, technischer Umsetzung und aktiver Einbindung aller Beteiligten.

Fünf Tipps für den erfolgreichen Einsatz von Telemedizin

  1. Digitale Infrastruktur ausbauen – auch in ländlichen Regionen
  2. Interoperable IT-Systeme in Kliniken und Praxen etablieren
  3. Schulungen für medizinisches Personal fördern
  4. Patient:innen frühzeitig über Telemedizin aufklären
  5. Gesetzliche Grundlagen für Vergütung und Datenschutz klären

Telemedizin in Europa – Chancen jetzt nutzen

Die Studien von WHO, Deloitte und Bertelsmann machen deutlich: Die digitale Transformation im Gesundheitswesen ist machbar – und notwendig. Gerade Länder wie Estland oder Dänemark liefern wichtige Impulse, wie Telemedizin erfolgreich eingesetzt werden kann. Deutschland kann von diesen Modellen lernen und eigene Stärken ausbauen.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, Telemedizin nicht mehr nur als Ergänzung zu verstehen, sondern als festen Bestandteil eines modernen, patientenzentrierten Gesundheitssystems.